Wie lang ist lang genug?

AiR & Aufenthaltsdauer

In einigen Gesprächen, die ich mit Künstler:innen zu AiR vor allen Dingen im deutschsprachigen Raum führte, war neben den räumlichen Gegebenheiten und finanziellen Bedingungen die Aufenthaltszeit in der Residency ein Thema; mal beiläufig geäussert, mal als ausformuliertes kritisches Statement, im Laufe meiner Recherche dann immer mehr auch bewußt nachgefragt.

Klar, die ideale Aufenthaltsdauer ist äusserst subjektiv und die Vorstellung davon verändert sich mit den jeweiligen eigenen Projektvorhaben und Abhängigkeiten, den ökonomischen Bedingungen, anderen Pflege- oder Fürsorgeverpflichtungen, unmittelbaren Erfahrungen in Künstlerhäusern und kleineren wie größeren Empfindungen und Stimmungsschwankungen. Häufig erschien mir die Diskussion dazu auch mit konkreten unmittelbaren Erfahrungen an einem Ort in einem spezifischen Programm verbunden – an diesem Ort wäre mensch gerne länger geblieben und in jenem Künstlerhaus liess es sich einfach nicht mehr aushalten. Ich habe sämtliche Anmerkungen dazu als relevant für eine Auseinandersetzung wahrgenommen.

Und, auch klar ist, dass die von den Institutionen und Gastgeber:innen gesetzte Aufenthaltsdauer ein ähnlich großes Spektrum an Entscheidungen zur Aufenthaltsdauer in dem verantworteten Programm umfasst: wirtschaftliche, personelle und adminstrative Möglichkeiten, (selbst-)verfasste Setzungen und Zwecke in der eigenen Satzung, eine gewachsene, aber auch schon mal entwachsene Geschichte des jeweiligen Programms, klimatische oder jahreszeitliche Bedingungen. Alles begründet und nachvollziehbar.

Und dennoch scheint es angebracht, das Bewußtsein für die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten bei der Wahl der Aufenthaltsdauer von der Seite der Gäst:innen wie der Gastgeber:innen zu schärfen.

Das könnte für die gastgebenden Institutionen damit anfangen,  wie es zu der Setzung einer bestimmten Aufenthaltsdauer kam, wer Zugang zum Bewerbungsverfahren hat, welche Kriterien bei der Auswahl der Resident:innen eine Rolle spielten und von welchem Verständnis einer künstlerischen Produktion und Lebensgestaltung der adressierten Künstler:innen ausgegangen wurde. Um dann zu überprüfen, wie weit die jeweiligen Faktoren zum Zeitpunkt der Betrachtung noch genauso eine Rolle spielen können. Die Auswahlgremien oder -personen könnten darüber hinaus nicht nur eine mögliche Zugangsvoraussetzung, künstlerische Qualität, den Zeithorizont des vorgeschlagenen Projektvorhabens prüfen, sondern auch die Zeithorizonte der jeweiligen künstlerischen Praxis hinsichtlich Recherche, Produktion und Kontemplation; und insbesondere die nicht-künstlerischen, eben gesellschaftlichen und politischen Tatsachen der Bewerber:in und deren damit einhergehender Zeitbedarf für eine Residency. Um dann zu entscheiden, ob diese im Einklang mit dem eigenen Angebot ist und wie weit sich das mit der Bewerber:in ermöglichen lässt.

Die Resident:innen könnten prüfen, warum sie sich für das spezifische Programme auch mit dessen Aufenthaltsdauer entschieden haben oder andere Faktoren maßgeblicher waren, die dann in Einklang mit der Zeit gebracht werden mussten oder wie sich der Blick auf die Dauer vor Ort verändert hat. Und vielleicht hilft das ja auch, um ein Verständnis für die eigene Zeit in der Recherche und Produktion, beim Eingewöhnen und Ausspannen zu bekommen.

Das klingt vielleicht erst einmal nach einer zu vernachlässigen Aufgabe, die bei den den alltäglichen institutionellen und persönlichen Herausforderungen, bei der Bewältigung der alltäglichen Professionalität auch schnell wieder verschwindet. Aber eine Debatte dazu in die Wege zu setzen, würde vermutlich nicht nur alltägliche, aber immer wieder flüchtige Störungen bearbeiten, sondern könnte auch angemessenere Setzungen hinsichtlich der zu verbringenden, immer auch begrenzten Zeit an einem anderen Ort ermöglichen.

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